Sehr häufig hört man, dass sich in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, dass die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer würden. Gerade die sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre wie Hartz IV oder die Rentenreformen hätten dazu beigetragen, dass die Armut deutlich angestiegen sei und Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt wieder ein spürbares Armutsproblem habe.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Stimmen die behaupten, dass es in Deutschland gar keine Armut gibt. Denn in der Sozialen Marktwirtschaft hat der Staat die Aufgabe, Armut zu bekämpfen und allen Gesellschaftsmitgliedern ein menschenwürdiges Existenzminimum zu garantieren. Dies wird in Deutschland durch das System der sozialen Grundsicherung sichergestellt. Die Empfänger von Leistungen der sozialen Grundsicherung können somit nicht als "arm" bezeichnet werden, da sie alle Mittel erhalten, die für eine Teilname am gesellschaftlichen Leben für notwendig gehalten werden. Außerdem sei es gar nicht möglich, ein Subsistenzminimum objektiv zu ermitteln, da es für die Bestimmung von Mindeststandards keine hinreichend ausgearbeitete ethische Theorie gibt.
Es stellt sich daher die Frage, was unter Armut in einem entwickelten Sozialstaat zu verstehen ist und wie sich die Armut in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich entwickelt hat. Die Herausforderung besteht darin, aktuelle Theorien sozialer Gerechtigkeit auf diese Frage hin zu untersuchen, Indikatoren für die Messung von Armut zu bestimmen und die Entwicklung der Armut sowie ihrer Determinanten darzustellen.