Neu im Land – wie können Geflüchtete auf das deutsche Finanzsystem vorbereitet werden?

„Ein eigenes Konto habe ich nicht, aber mein Mann hat mir eine Karte erstellen lassen, die ich aber nicht benutze, ich kenn mich damit gar nicht aus, kann keinen Automaten bedienen. […] Um ehrlich zu sein habe ich es noch nie versucht, ich habe Angst. Ich kenn‘ mich mit Banken und Überweisungen und allem Drum und Dran gar nicht aus, in Syrien sowieso nicht.“
Mona (Name geändert, 34). [Arnold et al. 2018]

Mit diesen und ähnlichen Problemen sehen sich viele Geflüchtete konfrontiert. Wurde der aufwändige und nervenaufreibende Asylantrag angenommen, stehen sie vor einem neuen Berg an Herausforderungen: Sprache, Schule, Beruf, Anpassung an die sozialen Normen des Gastlandes – zu oft kommt hier die finanzielle Bildung zu kurz.

Dabei meint finanzielle Bildung die Vermittlung und den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten im Umgang mit finanziellen Angelegenheiten (z.B. Budgetplanung, Geldanlage, Finanzierung, Versicherungsabschluss, etc.) Darüber hinaus verfolgt sie das Ziel, Menschen mit dem notwendigen Selbstvertrauen auszustatten, um Informationen und Rat zu Geld- und Finanzthemen einzuholen und darauf aufbauend, gründlich überlegte und ökonomisch sinnvolle Finanzentscheidungen zu treffen [OECD 2005, Fuhrmann 2013].

Schon durch die Fluchtkosten sammeln viele Asylsuchende hohe Schulden an [Brücker et al. 2016], zu deren Rückzahlung erste Jobs oder die Zahlungen vom Jobcenter kaum ausreichen. Dazu kommen finanzielle und verbraucherrechtliche Fragen bezüglich des ersten Kontos, der Geldanlage, Versicherungen, Miet- und Handyverträgen, oder auch des täglichen Konsumverhaltens. Im Durchschnitt ist die financial literacy in vielen Herkunftsländern weit weniger ausgeprägt als in Deutschland [Reiter & Beckmann 2020; Klapper et al. 2015].

Schließlich hatten viele Geflüchtete in ihren Herkunftsländern keinen oder nur eingeschränkten Zugang zum Geld- und Kapitalmarkt, und besaßen oft kein eigenes Giro- und Sparkonto – wie das obige Zitat deutlich macht. Auch sind einige in Deutschland übliche Finanzprodukte in anderen Ländern weniger zugänglich oder existieren gar nicht. Zudem weisen manche Bevölkerungsgruppen unabhängig vom wirtschaftlichen Entwicklungsstand des Landes systematisch eine vergleichsweise geringere Finanzkompetenz vor.

Hinzu kommt, dass sich z.B. Steuer- und Sozialversicherungssysteme von Land zu Land stark unterscheiden. Mit dem hiesigen System sind in Deutschland lebende Personen häufig selbst überfordert, wie soll es dann jemandem gehen, der nicht mit System und Sprache vertraut ist?

Wie können Geflüchtete in Deutschland bestmöglich in Geld- und Finanzfragen unterstützt werden?

Obwohl verschiedene Organisationen einführende Programme zur Finanzbildung von Geflüchteten anbieten, werden diese jedoch selten wahrgenommen [Arnold et al. 2018; Majid et al. 2017]. Wie können bestehende Programme größeren Zulauf bekommen?

Zwar ist der Zugang zu Bankkonten selten ein Problem, diese werden aber kaum genutzt [Grohmann 2018]. Wie können Geflüchtete, insbesondere Frauen und Einkommensschwächere animiert werden, die für den finanziellen Alltag notwendigen Bankkonten und -karten zu nutzen?

Must-Read – diesen Artikel sollte das Team in Vorbereitung auf das Kick-Off-Gespräch bearbeitet haben:

Majid, Ingrid; Buddensiek, Marit; Maier, Petra (2017). „Get in!“ – Ein Projekt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zur Unterstützung der Finanzkompetenz geflüchteter Menschen. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, ISSN 1861-1559, Duncker & Humblot, Berlin, Vol. 86, Iss. 3, pp. 103-117.

Weitere Literatur:

Fuhrmann, B. (2013). “Don’t know much about economics and business” Economic und financial literacy als wesentliche, jedoch vernachlässigte Bildungsziele. WissenPlus (4): I-VIII.

OECD (2005): Improving Financial Literacy: Analysis of Issues and Policies, OECD Publishing, Paris.

OECD/INFE (2015). 2015 OECD/INFE Toolkit for measuring financial literacy and financial inclusion. (2018er Version)

Arnold, Eva A.; Neuberger, Doris; Seukwa, Louis Henri; Ulbricht, Dirk (2018). Finanzielle Allgemeinbildung Geflüchteter in Deutschland: Eine qualitative Pilotstudie. Thünen-Series of Applied Economic Theory – Working Paper, No. 153, Universität Rostock, Institut für Volkswirtschaftslehre, Rostock.

Grohmann, Antonia (2018). Zugang zu Bankkonten für Geflüchtete kein Problem, Nutzung von Finanzprodukten aber ausbaufähig, DIW Wochenbericht, ISSN 1860-8787, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, Vol. 85, Iss. 42, pp. 929-935.

Evers & Jung (2005). Migranten und Finanzdienstleistungen. Studie im Auftrag des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Hamburg.

Reiter, Sarah; Beckmann, Elisabeth (2020). How financially literate is CESEE? Insights from the OeNB Euro Survey. Focus on European Integration Q3/20, Oesterreichische Nationalbank.

Lusardi, A., & Mitchell, O. (2011). Financial literacy around the world: An overview. Journal of Pension Economics and Finance, 10(4), 497-508.

Klapper, L., Lusardi, A., & Van Oudheusden, P. (2015). Financial Literacy around the World. Washington DC: Standard & Poor’s Ratings Services Global Financial Literacy Survey.

Gibson, J.; McKenzie, D.; Zia, B. (2012). The Impact of Financial Literacy Training for Migrants. The World Bank Economic Review, Vol. 28, No. 1, pp. 130–161.

Beseiso-Kamel, D.; Schlif, V. (2016). Geflüchtete als Verbraucherinnen und Verbraucher in Berlin. Studie des MANARAH-Projekts im Auftrag der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, Berlin.

Brücker, H.; Kunert, A.; Mangold, U.; Kalusche, B.; Siegert, M.; Schupp, J. (2016). Geflüchtete Menschen in Deutschland – eine qualitative Befragung. IAB Forschungsbericht Aktuelle Ergebnisse aus der Projektarbeit des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 9/2016.

Schraven, B.; Martin-Shields, C. (2018). Fluchtursachen in Koalitionsvertrag. Mehr Komplexität wagen! Die aktuelle Kolumne vom 19.2.2018. Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Wissenschaftlicher Partner:

ifo Leibniiz-Institut für Wirtschaftsforschung

Betreuer der YES!-Teams und Autoren des Themenvorschlags:

Clara Albrecht

Clara Albrecht ifoClara Albrecht ist Fachreferentin im ifo Zentrum internationaler Institutionenvergleich und Migrationsforschung.

Sarah Reiter

Foto: (c) ifo Institut

Sarah Reiter ist Doktorandin am Zentrum für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung am ifo Institut in München. Sie hat einen Masterabschluss in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich aktuell mit den Themen Finanzintermediation, Finanzbildung und Finanzentscheidungen privater Haushalte.

Tanja Stitteneder

Tanja Stitteneder ifoTanja Stitteneder ist als Datenbankspezialistin seit März 2018 am ifo Zentrum für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung tätig. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen Institutionenvergleich und Politikberatung zum Thema Migrationsökonomik.

Yvonne Giesing

Foto: ifo Institut

Dr. Yvonne Giesing forscht seit Januar 2017 an ifo Zentrum für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die ökonomischen Effekte von Migration in den Herkunfts- und Zielstaaten.